so far so good

so weit, so gut


nomadisches Projekt in 14 verschiedenen Ländern,
Zelt aus Fallschirmseide, fortlaufend bestickt und ortsspezifische Interventionen, 2004-2006

 

So far so good (so weit, so gut) ist ein nomadisches Reiseprojekt. Für insgesamt 18 Monate reiste ich durch 14 verschiedene Länder mit einem Zelt. Dieses Zelt hatte ich aus Fallschirmseide entsprechend meines persönlichen Raums, dem Platz, der mich umgibt wenn ich meine Arme ausstrecke, entworfen und genäht.

In jedem Land veränderte sich das Zelt durch Stickereien auf der Zeltoberfläche, die ich in Zusammenarbeit mit Menschen fortlaufend durch neue Stickereien veränderte. Stickerei ist eine traditionelle Handarbeitstechnik, die fast überall auf der Welt praktiziert wird. Für mich war es eine mögliche Handlungsform, die es unabhängig von Sprache ermöglichte, eine visuelle Aufzeichnung der Erfahrungen und Geschichten entstehen zu lassen zwischen und mit den Menschen, denen ich während der Reise begegnete.

Das Zelt ist eine der ältesten Formen der Behausung und grundlegend mit dem Nomadentum verbunden.Es ist mobil, das heißt, es konnte an unterschiedlichsten Orten immer wieder aufgestellt und abgebaut werden. Es entstand ein Ort, eine Situation der Begegnung, des Austauschs und der Vermischung von Kulturen. Das Zelt thematisiert das Unterwegssein an sich, es macht Prozesse des Übergangs deutlich und wirft dabei Fragen der Zugehörigkeit und kulturellen Identitätauf. Die Mobilität der Menschen hat transnationale und transkulturelle Räume oder Zonen geschaffen, welche die Erfahrung der eigenen Herkunft in Frage stellen und verändern.

In jedem Land erweiterte sich das Projekt um eine neue Perspektive: zusammen mit lokalen Partnern, KünstlerInnengruppen und anderen AkteurInnen baute ich das Zelt in einer spezifischen Lokalität auf, um in wechselnden, sich entwickelnden temporären, ortsspezifischen Interventionen auf die lokale Situation zu reagieren. Einige der Stationen werden auf den folgen Seiten vorgestellt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dresden, Deutschland 30.04.2004
Krczyzowa, Polen 05.05.-13.05.2004
Budapest, Ungarn 1.06.-24.06.2004
Sibiu, Rumänien 2.07.-18.07.2004
Istanbul, Türkei 26.07.-28.07.2004
Teheran und Poloor, Iran 22.08.-14.09.2004
Peshwawar, Pakistan, 28.09.-04.10.2004
Bombay, Indien 12.10.-30.10.2004
Auckland, Neuseeland, 04.12.-18.12.2004
Sydney und Melbourne, Australien, 24.01.-19.02.2005
Darwin, Australien 07.03.-16.03.2005 
Jogyakarta, Indonesien 22.03.- 6.04.2005
Singapore 13.04.-17.04.2005
Kuala Lumpur, Malaysia 20.04.- 29.04.2005
Hanoi, Vietnam 4.07.-25.07.2005
Dresden, Deutschland 30.08. 2005

 

 


    

 

Budapest, Ungarn
in Zusammenarbeit mit Hajni Somogyi, Katarina Sevic und dem hints institute


Die Kuratorin Hajni Somogyi und die Künstlerin Katarina Sevic haben eine ehemalige Autowerkstatt im Hinterhof des Trafo, Haus für aktuelle Kunst besetzt und in einen temporären non- profit Projektraum verwandelt. Hier im Dinamo, wo ich mit dem Zelt für einige Wochen zu Gast bin, treffe ich hints, eine Gruppe aus KünstlerInnen und SoziologInnen, die durch ihre spontanen Interventionen im öffentlichen Raum bekannt sind. Mónika Bálint und Eszter Ágnes Szabó zum Beispiel haben ein ganzes Jahr lang jeden Sonntag in einem Café an einem politischen Tischtuch gestickt. Gemeinsam entwickeln wir die Idee, das Zelt in Budapest als temporäres Café aufzuschlagen. Vier Tage später stehen wir auf dem Moskva Ter, einem Verkehrsknotenpunkt am Rande der Innenstadt, der seit einigen Jahren sozialer Brennpunkt der Stadt ist. Bereits beim Aufbau des Zeltes als Straßencafé mit Campingkocher und Kaffeetassen werden wir beobachtet. Die Überwachungskameras laufen mit. Wir besetzen den Platz ohne offizielle Genehmigung der Stadt, sehen die Spontaneität dieser Aktion eher als Chance. Es ist der 1. Mai 2004, Ungarn tritt der EU bei. Auf dem weitläufigen Platz in typisch sozialistischer Architektur scheint der Alltag weiterzulaufen. Die ersten Leute bleiben stehen und fragen, einige vermuten, es handle sich um eine Protest- oder Werbeaktion. Bei einer Tasse Kaffee diskutieren wir über den Europaskeptizismus und die möglichen Auswirkungen der EU-Beitritts Ungarns. Später tauchen Polizeibeamte auf, trotz Diskussionen erhalten wir eine einstündige Frist, den Platz zu räumen. Das Zeltcafé hatte für einen Nachmittag Bestand.

 

 

 

 

Bombay, Indien
in Zusammenarbeit mit Kausik Mukhopadhyay

 

Eine aktuelle Diskussion um den Ausgang der indischen Parlamentswahlen und der Umstand, dass die in Italien geborene Sonia Ghandi trotz des Wahlsiegs ihrer Kongresspartei nicht zur Premierministerin ernannt werden konnte, weil sie nicht in Indien geboren wurde, beschäftigen mich. „I never felt they look at me as a foreigner. Because I am not. I am Indian“, sagte sie in einem Fernsehinterview. „If you are not born in India, you will never be one of us!“ antwortet dem Fernsehbild ein älterer Herr und ich frage mich, warum immer noch Herkunft über nationale Identität entscheiden muss. Als ich Kausik Mukhopadhyay und Mohua Ray, zwei KünstlerInnen aus Bombay treffe, erzähle ich davon. Wir diskutieren den Nationalpatriotismus in Indien und fragen uns, wie anders nationale oder kulturelle Zugehörigkeit entstehen kann. In einer Wahlaktion wollen wir Antworten darauf finden. Ein Wahlbogen bestehend aus 44 Antworten, die wir einige Tage zuvor durch Umfragen auf der Straße ermittelt haben, liegt im Zelt als Wahlkabine bereit. Einige Männer in steifen, weißen Hemden streiten sich lautstark, wie man indische Kultur überhaupt beschreiben oder definieren könne. Der Gemüsehändler, der erst skeptisch an der Ecke steht, erklärt später anderen Passanten, worum es geht. Ein Student übersetzt den englischen Wahlbogen in Hindi und Marathi. Zwischendurch kommt es zu einem richtigen Gedränge bis die letzten Wahlbögen ausgefüllt sind. Mehr als 100 Menschen haben sich an der Wahlaktion beteiligt. Drei Wochen später stelle ich die Ergebnisse der Wahl abschließend in einer lecture performance im Goethe-Institut Bombay vor.

 

 


 

Istanbul, Türkei
in Zusammenarbeit mit dem Künstlerinnenkollektiv Oda Projesi

 

Gleich an meinem ersten Abend in Istanbul treffe ich Pelin Tan, eine Kunstwissenschaftlerin, die mich zu einer Aktion der Künstlerinnengruppe Oda Projesi mitnimmt. In einem Innenhof, etwas abseits der trendigen Bars, Geschäfte und Cafés der Istiklal- Hauptstrasse haben sie ihren Raum für Projekte in Zusammenarbeit mit der ansässigen Nachbarschaft geöffnet. Ich erzähle Seçil Yersel und Özge Açikkol von dem Zelt, mit dem ich unterwegs bin und sie laden mich ein, hier im Oda Projesi  weiter zu sticken, denn viele Frauen in der Nachbarschaft würden auch sticken sich sicherlich für das Zelt interessieren. Einige Tage später sitze ich wieder im Innenhof, habe das Zelt auf dem Schoß und sticke. Kurze Zeit später sitzen drei der Nachbarinnen um mich herum und lassen den Stoff und die Stickereien durch ihre Hände gehen. Aufgeregt diskutieren sie über einige der Motive, ich verstehe nur Bruchstücke, die Güneþ Savaþ mir übersetzt. Es sticken fast alle Frauen, neu ist für sie das Sticken nach eigenen Zeichnungen, denn es bringt die alltägliche Handarbeitspraxis in einen erweiterten Zusammenhang. „Ich kann doch nicht zeichnen“, sagt Sebil, eine Frau aus dem obersten Stock, und schlägt vor, den Eingang des Zeltes mit einer typischen Häkelei zu umranden. „Das bringt Glück“, lacht sie, „wir machen das bei unseren Kopftüchern auch“. Für eine Woche sticken wir gemeinsam im Hof. Thematisiert wird in den Gesprächen und Motiven immer wieder die eigene Zugehörigkeit: Wo kommst Du her, wo gehörst Du hin? Die meisten Familien sind aus weiter entlegenen Gebieten nach Istanbul gezogen, um Arbeit zu finden. Die Stadt Istanbul als Fremdheimat taucht in den Stickereien immer wieder auf.

 

 

Teheran/ Poloor, Iran
in Zusammenarbeit mit Ahmad Nadalian

 

Die eigentliche Freiheit des Irans liegt im Netz. Die Unübersichtlichkeit und Anonymität des Internet macht vor allem Blogs als Alternative zu den streng kontrollierten konventionellen Medien als Sprach – und Diskussionsraum interessant. Hier findet sich vieles, was in der realen Wirklichkeit des Landes verboten ist. Auf diesem virtuellem Wege treffe ich auch Ahmad Nadalian, einen iranischen Bildhauer, der mich für drei Wochen in das Paradise Art Centre einlädt, dem Haus seiner Familie, ca. 65 km außerhalb von Teheran. Die Familie heißt mich willkommen und beim Abend¬essen erzähle ich von den bisherigen Stationen des Zeltes. Ahmad erzählt von seiner Familie, die früher in den Bergen lebte und bei genauerem Nachfragen stellt sich heraus, dass Teile seiner Familie, die Sangsari, immer noch nomadisch leben.

 

 

 

Eine Woche später ziehen wir zusammen mit Ahmad´s Frau Tayebeh und ihrem Sohn Behzad früh am morgen mit fünf Litern Trinkwasser und dem Zelt los, um sie kennen zu lernen. Wir laufen mehrere Stunden einem Trampelpfad entlang durch eine wüstenähnliche Landschaft, bei der Zeltsiedlung angekommen, freuen sich alle, Ahmad zu sehen, sie haben ihn lange nicht gesehen. Er spricht Sangsari, den für die Region typischen Dialekt. Ich packe das Zelt aus und sofort helfen mir vier oder fünf Männer beim Aufbauen. Neugierige, vorsichtige Blicke. Tayebeh und die anderen Frauen sind verschwunden. Erst später im Gespräch erfahre ich, dass es hier immer die Aufgabe des Mannes ist, das Zelt aufzubauen. Die Situation bringt die üblichen Rollen durcheinander. Erst als es fertig steht, kommen die Frauen zurück und reichen allen ein Joghurtgetränk. Die Männer wollen wissen, warum ich mit einem Zelt reise. Sie sehen es als Fortschritt, die Hälfte des Jahres in Teheran sesshaft sein zu können. Warum gibt jemand sein Zuhause freiwillig auf? Ich erzähle von Deutschland und der wachsenden Mobilität unserer Generation. Ahmed übersetzt. Es entwickelt sich eine Diskussion um die Aktualität der nomadischen Lebensweise. Ein hagerer älterer Mann mit großen Augen erzählt, dass er hier oben in den Bergen geboren sei. Das Leben draußen sei hart, aber es wäre schon immer so gewesen. Sein sieb-zehnjähriger Sohn schaut währenddessen auf den Boden und schweigt, wie es die Tradition von ihm verlangt.
Während die Männer weiter diskutieren, laden die Frauen mich in ihre Zelte ein. Dabei geht mir wieder durch den Kopf, dass das Wort Zelt im Persischen eine Doppelbedeutung hat: Der Begriff Tschador bezieht sich auf eine reale Zeltkonstruktion, andererseits aber auch auf den Ganzkörperschleier, den Frauen hier in der Öffentlichkeit tragen. Das Zelt als Lebensraum ist damit im doppelten Sinne ein privater Raum, der sich vom öffentlichen Raum abgrenzt.


 

 

Darwin, Australien
in Zusammenarbeit mit 24 hr Artspace Darwin

 

In Darwin installiere ich das Zelt im Raintree Park, einem von zwei großen Regenbäumen gesäumten innerstädtischen Platz, der oft für kommunale Aktivitäten genutzt wird. Caroline Farmer, die Direktorin des 24 hr Artspace hat für das Zelt als mobile Radiostation eine Genehmigung erwirkt und die Aktion stadtweit angekündigt. Erste Passanten fragen skeptisch: „Hat das etwas mit Islam zu tun?“ Ich frage zurück, „Was hat Darwin mit Istanbul zu tun? Was passiert, wenn zwei Städte, die in völlig verschiedenen Kulturkreisen liegen, für einen Tag miteinander verbunden sind?“ Ein Campingtisch und zwei Stühle sind die Ausstattung des Radiostudios. Ein Mikrofon ist mit dem Laptop verbunden, ein Audioprogramm nimmt auf, was am nächsten Tag in Istanbul ausgestrahlt wird. Durch Interviews, Erzählungen, Fragen und Antworten entsteht eine Radiosendung mit Passanten: Stephanie zum Beispiel berichtet vom Wirbelsturm Tracy und wie Darwin sich seitdem verändert hat. Kate, eine politische Aktivistin berichtet von ihrem ersten Besuch in Istanbul, bei dem sie kurdische Untergrundkämpfer kennen lernte und Desmond erzählt von den Schwierigkeiten mit der Polizei, die ihn fast täglich wegen Ruhestörung von der Straße verbannt. Währenddessen fährt draußen ein vergitterter Polizeiwagen vorbei und kontrolliert den Platz. So mischen sich alltägliche Geschichten mit politischen Diskussionen und stellen für einen Tag eine Verbindung zwischen zwei Städten her, die Welten voneinander entfernt liegen.

 

 

 

 

Yogyakarta, Indonesien
in Zusammenarbeit mit dem Künstlerkollektiv Taring Padi

 

Dodi Irwandi, einen der Mitbegründer von Taring Padi lernte ich schon in Dresden bei einer Ausstellung im Kunsthaus kennen. In Yogyakarta treffen wir uns wieder und er stellt mir das gesamte Künstlerkollektiv vor, das seit dem Sturz der Militärdiktatur Suharto´s 1998 zusammenarbeitet und zu politischen Ereignissen und gesellschaftskritischen Fragen Posterserien, Faltblätter, Sticker und Aktionen mit lokalen Gruppierungen entwickelt. Die Entscheidung zusammen mit Taring Padi ein Wayang, ein Schattenmmarionettenspiel in javanischer Tradition entwickeln zu wollen, ist am ersten Abend getroffen. Mit dem Zelt als dreidimensionaler Schattenfläche und eigenen Marionetten wollen wir die traditionelle Technik in einen zeitgenössischen Zusammenhang übertragen. Aus Abfallresten und Pappkartons entstehen in den nächsten Tagen filigrane  Figuren, in dem für die Gruppe typischen comicartig überhöhten sozialen Realismus. Taring Padi heißt übersetzt die Spitze des Reiskorns, und während wir die Puppen mit Holzstäben zusammensetzen, trocknen die Dorfbewohner nebenan ihren Reis in der Sonne. Am Abend als die Stabfiguren fertig sind, diskutieren wir, dass das Schattenspiel die Geschichte des reisenden Zeltes erzählen soll. Während der nächsten Tage übersetze ich dafür meine bisherigen Erfahrungen ins Englische. Toni Volunteero übersetzt diese ins Indonesische und Teile davon wiederum ins Javanische, der traditionellen Sprache des Wayang. Er ist der Dalang, der Schattenspielmeister, der in seinen Erzählungen musikalisch von der Band begleitet wird. Ein Wayang beginnt traditionell bei Sonnenuntergang, wenn die Schatten der Götter erwachen. Als die ersten Kerzen bren¬nen, füllt sich der Platz um das Zelt mit Familien aus der Nachbarschaft. Wir haben neben anderen KünstlerInnen vor allem Leute aus dem Dorf eingeladen. Mit einem Trommelschlag geht es los. Die Schatten fangen an zu leben,  die Gliederstabfiguren werden zur Geschichte bewegt. Ich verstehe Bruchstücke, die Christina Schott, eine deutsche Journalistin die neben mir sitzt und übersetzt. Ich folge den Bildern, die sich als Schatten über die Zeltoberfläche legen. Das, was ich sehe und auf Deutsch verstehe, ist eine neue Erzählung aus dem, was aus den verschiedenen kulturellen Übertragungen entstanden ist.